Die letzte Generation

Empörung!

Der Volkszorn auf die jungen Leute ist ziemlich groß. Die Klebeaktionen oder die Tomatensuppenwürfe und Kartoffelbreianschläge der "Letzten Generation" bringen das Blut zum Kochen. Womöglich beweisen die Aufregung und die Rufe nach Strafverschärfung und Vorbeugehaft sogar, dass diese kleine radikale Minderheit der vielen zurecht um ihre Zukunft besorgten jungen Menschen einen wunden Punkt trifft. Sie entlarvt, dass der Aufschrei über provozierte Autostaus oder bekleckerte Kunst unter "Bildungs­bürgern" größer ist als über wissenschaftliche Prognosen, wonach in wenigen Jahrzehnten Hitze, Missernten und Unwetter große Landstriche unserer Erde nachhaltig unbewohnbar machen werden. Dabei gerät solchen Bürgern völlig aus dem Blick, dass sich radikale "Klimaproteste" wirkungsvoller beenden ließen als mit Präventivhaft oder Täterverteufelung - nämlich mit der Verwirklichung des 1,5‑Grad-Ziels, zu dem sich nicht zuletzt der Deutsche Bundestag gesetzlich verpflichtet hat. Die Ministerin weinte einst vor Rührung bei der Ratifizierung des Pariser Abkommens und die damalige Kanzlerin erkor sich flugs zur Retterin der Welt. Das war 2015, heute scheint dieses Gehabe irgendwie dem Gewissen entschwunden zu sein. Stattdessen diskutiert jetzt das halbe Land über die Zulässigkeit der Methoden des Widerstands. Die mediale Debatte zeigt dabei Anzeichen klassischer Täter-Opfer-Umkehr: Statt der politisch Verantwortlichen, die seit Jahrzehnten den Kampf gegen den Klimawandel schleifen lassen, weil sie sich vor den Kohlebaronen wegducken, haben sich diejenigen zu rechtfertigen, die darauf hinweisen. Wahrscheinlich bremsen die jungen Leute mit ihrem "Klebe-Protest" die Erderwärmung nicht, allein schon, weil mehr über ihre Aktionen debattiert wird als über Klimaschutz selbst. Befeuert von den fossilen und nuklearen Populisten! Trotzdem könnten künftige Generationen befinden, dass die Aktivistinnen und Aktivisten mit ihrem Ungehorsam auf der richtigen Seite der Geschichte standen, ihre Verzweiflung gerechtfertigt und die Prioritäten unserer hedonistischen  Wohlstands-Generation falsch waren.
von Opa Harald Braun - Jahrgang 1947